Imperium Romanum

E&E 14 S.3-10 2009
Wilfried Hasselberg-Weyandt

2000. Anniversarium
der Schlacht im Teutoburger Wald

Wohl in der letzten Dekade des September 2009 ist es zweitausend Jahre her, daß eine Schar von Germanen unter dem Cheruskerfürsten Arminius drei römische Legionen samt ihrer Hilfstruppen niedermachte und dadurch letztlich den Kaiser zwang, das Gebiet zwischen Rhein und Elbe aufzugeben, den Germanen zu überlassen. Als «liberator haud dubie Germaniae» bezeichnete daher Tacitus in seinen Annalen Arminius. Mit «Befreier Deutschlands» übersetzen das manchmal deutschnational gesonnene Leute.
Was aber hat eigentlich Arminius befreit? und wovon? Deutschland jedenfalls nicht; Deutschland ist das Land westgermanischer Völkerschaften, die veredelt wurden durch römische Kultur und Christentum. Doch von eben dieser Kultur, von der Pax Romana, vom römischen Imperium, der Festung, in der Gott – laut Papst Leo d. Gr. – den christlichen Glauben angesiedelt hat, von all dem hat Arminius Germanien befreit. Arminius selbst lebte noch zwölf Jahre, bis er der von ihm erlangten Freiheit zum Opfer fiel.
Mit modernen Ausdrücken könnte man es auch so beschreiben: Eine Schar germanischer Terroristen unter dem Warlord Arminius hat eine Truppe bewaffneter römischer Entwicklungshelfer mit robustem Mandat massakriert und dadurch das Gebiet zwischen Rhein und Elbe in einen Zustand versetzt, den man im heutigen Polit-Slang als «fallen state» bezeichnen würde, wenn es dort zuvor nur einen richtigen Staat gegeben hätte.
Als Ort der Schlacht ist der Saltus teutoburgiensis bezeugt, ein Ort, der nicht mehr sicher zu identifizieren ist, denn dieser Name ist nicht erhalten geblieben – heute wäre wohl «Dietburger Wald» daraus geworden. Allerdings lag es nahe, den Osning für diesen Saltus zu halten, denn er lag dem Zeugnis des Tacitus nach nahe dem Gebiet zwischen Lippe und Ems. Darum bürgerte es sich seit dem XVII. Jahrhundert ein, den Osning «Teutoburger Wald» zu nennen; der Name «Osning» wird heute am ehesten noch für einen Teil dieses Gebirges gebraucht, für den Abschnitt nördlich des Lippischen Waldes.
P. Quinctilius Varus war es, der im Jahre 4 v. Chr. Jerusalem eingenommen hatte. Es ging um jenen Vorfall, den nach Lukas Jesus später als Rahmenerzählung für das Gleichnis von den Minen benutzt: Nach dem Tod seines Vaters Herodes war Archelaos nach Rom gereist, um sich dessen Nachfolge zu sichern (Luc. 19, 12). Eine jüdische Gesandschaft reiste ebenfalls nach Rom, um dagegen zu protestieren (19, 14), aber vergeblich – Archelaos kehrte erfolgreich zurück (19, 15), seine Gegner wird er dann nicht geschont haben (19, 27), was Joseph veranlaßte, nicht nach Judäa zurückzukehren, sondern nach Galiläa zu gehen (Matth. 2, 27), das vom Tetrarchen Antipas regiert wurde. Zwischendurch hatte Sabinus, Procurator in Syrien, versucht, das Krongut des Herodes einzuziehen, und so einen jüdischen Aufstand ausgelöst. den dann Varus, damals Proprätor von Syrien, recht friedlich beizulegen wußte (Sepphoris und Emmaus hatte er freilich zuvor zerstört).
Es ist Mode geworden, das römische Reich abzuwerten, so sehr, daß man gar das Wort Imperium auch für den US-amerikanischen Machtbereich verwendet. Und in der Tat achteten römische Imperatoren, etliche Feldherren also und später viele Kaiser, die Menschenrechte oft wenig, römische Provinzstatthalter waren oft korrupt, römische Soldaten oft brutal, das System der Steuerpacht war ein abwegiges Gegenstück unseres heutigen Privatisierungswahns, die Sklaverei wurde sogar in christlicher Zeit nur gemildert, nicht abgeschafft. Und über die Pax Romana sagte Calgacus, ein Brite: «Ubi solitudinem faciunt, pacem appellant» (Agricola 30)* – also, modern ausgedrückt, «Friedhofsruhe».
Das aber schreibt der Römer Cornelius Tacitus in seiner Biographie des Siegers über Calgacus, des Agricola, seines Schwiegervaters, den er mit diesem Werk ehrt. Der römische Patriot bemühte sich um Objektivität, «audiatur et altera pars» – er gab auch der anderen Seite das Wort.
Trotz aller Unzulänglichkeit, auch aller Korruption und Brutalität – Rom hatte ein moralisches Ideal, das immer wieder überlagert, aber nie vergessen wurde. In Rom konnte ein Philosoph wie M. Aurelius Kaiser werden – als Adoptivkaiser, nicht durch Abstammung –; ein republikanisch zur Macht gekommener Politiker wie M. Tullius Cicero konnte beeindruckendes Format als Denker zeigen. In Rom konnte ein aufstrebender Politiker Ansehen gewinnen – Cicero eben –, indem er einen römischen Statthalter anklagte nicht nur, aber gerade auch wegen der Ausplünderung von Provinzialen – kann man sich vorstellen, daß ein aufstrebender US-Politiker sich profilierte, indem er etwa den langjährigen US-Administrator im Iraq anklagte wegen der Ausplünderung dieses Landes? Ein römischer Politiker, M. Porcius Cato, genoß höchstes Ansehen, auch noch, und durchaus nicht minder, nachdem er im Senat gefordert hatte, Caesar an die Germanen auszuliefern, weil der seine Zusage gebrochen und die Führer der feindlichen Usipeter und Tenkterer getäuscht, der Vereinbarung zuwider festgesetzt hatte – kann man sich vorstellen, daß ein angesehener US-Politiker es sich leisten könnte, im Kongreß zu fordern, den früheren US-Präsidenten an die Taliban auszuliefern? (der Vergleich hinkt freilich; «auszuliefern an die Ba‘athisten» wäre treffender, denn deren Regime im Iraq wurde überzogen mit einem Krieg, der auf Täuschung beruhte – aber von ihnen ist niemand übergeblieben, dem man noch jemanden ausliefern könnte.) Nicht, daß es nicht auch US-Amerikaner von ähnlicher moralischer Qualität gäbe – aber unter den führenden Politikern ist kein solcher.
So sehr auch dieses moralische Ideal Roms überlagert wurde, es blieb doch wirksam. In den Evangelien macht Pontius Pilatus, eine Kreatur des von Kaiser Tiberius hingerichteten Sejanus, keine gute Figur, aber in der Apostelgeschichte ist man dankbar für das rechtliche Denken des Porcius Festus, der sein römisches Bekenntnis zum Rechtsstaat auch klar ausspricht: «non est consuetudo Romanis donare aliquem hominem priusquam is qui accusatur praesentes habeat accusatores locumque defendendi accipiat ad abluenda crimina» (Act. 25, 16). Freilich war Paulus in der glücklichen Lage, römischer Bürger zu sein; es dauerte noch etwa anderthalb Jahrhunderte, bis Kaiser Caracalla dieses Recht allen (freien) Einwohnern des Reiches gewährte. Aber die Pax Romana ermöglichte es ebenso Paulus wie den anderen Missionaren der Urkirche, sich frei zu bewegen im riesigen Raum des Imperium Romanum. Frei bewegen konnten sich die Christen natürlich nur, solange keine Verfolgungen einsetzten. Aber früher als im römischen Reich bekamen die Christen volle Freiheit nur in der kleinen Osroëne (wo sie heute in Gefahr sind, ganz aufgerieben zu werden durch den türkischen Staat) und in Armenien (von dem ein Teil sich bis heute retten konnte vor der türkischen Ausrottung und Unterdrückung).
Diese Pax Romana preist derselbe Tacitus, der auch dem feindlichen Calgacus das Wort gibt; er stellt fest, daß Römer und Provinzialen gleichermaßen daran teilhätten: «pacem et urbem, quam victi victoresque eodem jure obtinemus, amate, colite» (Historiae 4, 74)
Es sind die so kriegerischen Römer, die es als ihre besondere Aufgabe und Leistung sehen, Frieden zu bringen. Vergil prangert Kriege an als rauh und grausam, erfreut sich an deren Ende:
aspera tum positis mitescent saecula bellis
...
.. dirae ferro et compagibus artis
claudentur Belli portae
(Aeneis I, 291-94);
die Berufung Roms sieht er darin, über die Völker zu herrschen, um ihnen eine gesittete Friedensordnung aufzuerlegen:
Tu regere imperio populos, Romane, memento
(hae tibi erunt artes), pacique imponere morem,
parcere subiectis et debellare superbos
(Aeneis VI, 851-53).
Und der kriegerische Augustus rühmt sich nicht nur seiner Siege und Baumaßnahmen, sondern auch dessen, worauf ja Vergil angespielt hat, daß unter seiner Regierung die Türen des Janustempels zum Zeichen, daß im ganzen Reich Friede herrschte, dreimal geschlossen werden durften, was zuvor in der ganzen römischen Geschichte bisher nur zweimal geschehen war:
Janum Quirinum, quem claussum esse maiores nostri voluerunt, cum per totum imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax, cum, priusquam nascerer a condita urbe bis omnino clausum fuisse prodatur memoriae, ter me principe senatus claudendum esse censuit. (Res gestae XIII).
Ganz im Gegensatz zur Ausbreitung des freien Marktes – das heißt ja: der Gesetzlosigkeit in der Wirtschaft – unter moderner amerikanischer Hegemonie ist den Römern die Rechtsordnung nicht minder wichtig als der Friede; nicht minder sieht Vergil darin die weltweite Berufung Roms:
ac totum sub leges mitteret orbem. (Aeneis IV, 231).
Und später gehören für Cl. Claudianus Waffen und Gesetze, Reich und Recht zusammen:
Armorum legumque parens, quae fundit in omnes
Imperium, primique dedit cunabula juris
(De consulatu Stilichonis 3, 136 f.).
Der römische neue «ordo rerum», wie er im I. Jahrhundert bei M. Annaeus Lucanus erscheint, dient dazu, durch die römische Macht der Gerechtigkeit Raum zu schaffen – Staaten ohne Gerechtigkeit sind für Lucanus nur gewaltige Räuberbanden –; Augustinus übernimmt später diesen Ausdruck: «Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia?» (De civitate Dei IV, 4).
Nach der eher wüsten Zeit der Soldatenkaiser war das Bewußtsein der Verantwortung Roms für die unterworfenen Völker nicht vergessen, sondern noch gewachsen.
Aurelius Augustinus erkennt an, daß gleiches Recht galt für Römer und unterworfene Völker: «Neque enim et Romani non vivebant sub legibus suis, quas ceteris imponebant» (l.c. V, 17). Und die moralische Qualität der Verleihung des Bürgerrechts an die besiegten Völker schätzt der afrikanische Christ Augustinus, der sie «humanissime factum» nennt (l.c. V, 17), ebenso wie der alexandrinische Heide Claudianus, der gar meint, sie und die Römer seien ein Volk, nicht als Herrin, sondern als Mutter erscheint ihm Rom:
Haec est, in gremium victos quae sola recepit
Matris, non dominae ritu, civesque vocavit,
...
quos domuit ...
quod cuncti gens una sumus
(De consulatu Stilichonis 3, 150-59).
Und sogar schon, bevor Caracalla das Bürgerrecht über alle Einwohner des Reiches ausgedehnt hatte, sprach der Grieche Aelius Aristides ebenso von dem einen Volk – «hèn phŷlon» – in dem einen Land.
Könnte heute ein Iraqi, ein Afghane sagen, daß sie und die Amerikaner ein Volk seien, daß für sie alle dieselben Gesetze gelten?
Rutilius Claudius Namatianus, einer der letzten heidnischen Schriftsteller, schreibt Rom gar einen Dreischritt zu von der Furcht über die Überwältigung zur Liebe: «Quos timuit, superat, quos superavit, amat» (De reditu suo 1, 72). Und was er zu Rom sagt «quod regnas, minus est, quam quod regnare mereris» (De reditu suo 1, 91), erinnert an den großen Moralisten Confutius: «Nicht das soll einen bekümmern, daß man kein Amt hat, sondern das muß einen bekümmern, daß man dafür tauglich werde. Nicht das soll einen bekümmern, daß man nicht bekannt ist, sondern danach muß man trachten, daß man würdig werde, bekannt zu werden» (Lun Yü IV, 14; verdeutscht von Richard Wilhelm).
Ganz ähnlich glaubt Augustinus, daß die heidnischen alten Römer es doch verdient hätte, daß Gott ihnen dieses Reich zuteilte – als Thema eines Kapitels stellt er die Frage: «Quibus moribus antiqui Romani meruerint, ut Deus verus, quamvis non eum colerent, eorum augeret imperium» (De civ. D. V, 12).
Und Papst Leo d. Gr., dem natürlich die kaum anderthalb Jahrhunderte zurückliegenden Christenverfolgungen gegenwärtig waren, sieht im römischen Imperium nichtsdestoweniger die Festung, in der Gott den christlichen Glauben angesiedelt hat: «fidem christianam in arce imperii romani collocavit».
Aber die Römer waren bescheiden, Kulturimperialismus war nicht ihre Sache. Keine Parallele in der römischen Antike hat die Ausbreitung einer Pop-, Soft-, Fast- und Holliwood-«Kultur» noch die eines degradierten Englisch als Welt-Slang. Die Römer erkannten einen kulturellen Primat des Griechischen an, bewunderten den Orient. Der römische neue «ordo rerum», wie er bei Lucan erscheint, ist etwas ganz anderes als der «American way of life»; er will Recht herstellen, die staatliche Ordnung beherrschen, nicht die Kultur. Im selben Atemzug, in dem er die Berufung der Römer zur Weltherrschaft erklärt erkennt Vergil neidlos an:
excudent alii spirantia mollius aera
(credo equidem), vivos ducent de marmore vultus,
orabunt causas melius, caelique meatus
describent radio et surgentia sidera dicent
(Aeneis VI, 847-50)
Damit ist er freilich allzu bescheiden: die römische Kultur hat wohl in allem von den Griechen gelernt, sie in manchem erreicht, in manchem sie gar übertroffen, so etwa in der Portraitplastik, die Vergil so demütig anführt; schon zu seiner Zeit ist die römische von unvergleichbarer Qualität, so haben wir von Marius, von Cicero, von Cäsar, von den meisten späteren Imperatoren ein so lebendiges Bild wie von sonst kaum einem Menschen aus alter Zeit.
Und obgleich die lateinische Sprache der griechischen an Klangschönheit sicher längst nicht nachstand, an Ausdruckskraft ihr zumindest seit Cicero nicht mehr nachstand, beansprucht sie doch keinen Vorrang im Imperium. Im Neuen Testament gibt es – außer römischer Eigennamen – kaum lateinische Wörter, fast nur Münznamen, mal eine militärische Rangbezeichnung, welche jedoch zumeist in griechischer Übersetzung erscheint; auf dem Kreuz ist das Lateinische eine von drei Sprachen. Sicher hat der Alexandriner Claudianus, der in seiner Jugend auf Griechisch gedichtet hat, später Latein geschrieben; andererseits jedoch hat der Kaiser M. Aurelius sein philosophisches Werk auf Griechisch verfaßt. Die Ausdrucksstärke des Lateinischen aber zeigt sich noch heute daran, daß gerade das heutige Allerwelts-Englisch mangels eigener Fähigkeit abhängig ist von der Fruchtbarkeit des lateinischen Wortschatzes, der selbst für modernste Begriffe gebraucht wird.
Ein Jahrtausend nach Arminius erlebte das Imperium unter Kaiser Basileios II. (976-1025) eine letzte Blüte; viereinhalb Jahrhunderte vergingen noch, bis das Reich unterging:
Ultra libellum

Im August 2011

550. Anniversarium
des Endes des Römischen Reichs

Unter Diokletian war das Reich in Ost und West geteilt worden – eine Teilung von konstitutionellem Rang; in dieser Form wurde das von Konstantin rückgängig gemacht. Doch von nun an gab es dynastisch motivierte Teilungen, die letzte nach dem Tod Theodosios d.Gr. im Jahre 395. Das Westreich ging bald darauf zugrunde: 410 brach es unter dem Ansturm der Goten zusammen, im Jahre 476 wurde es endgültig aufgelöst.
Das Ostreich aber blühte erneut auf. Im VI. Jahrhundert errichtete Justinian nicht nur die Hagia Sophia; er eroberte auch Italien, Dalmatien, Afrika, von Mauretanien immerhin noch Tanger und schließlich Südspanien zurück. Doch er hatte sich übernommen: bald darauf geht der Großteil von Italien an die Langobarden verloren; 751 schließlich bleibt, nachdem Ravenna gefallen ist und der Papst Schutz bei den Franken suchen mußte, von Italien nur der äußerste Süden übrig. Von 634 an, dem Beginn des Khalifats ‘Omars, eroberten die islamischen Araber, die «Saracenen», den Orient, Ägypten, Afrika, Cypern, schließlich auch Spanien, Cilicien, Kreta.
Doch unter den Makedonenkaisern, seit der Regierung Basileios’ I. (867-886), konsolidierte sich das Reich. Kreta wurde zurückgewonnen, Cypern, Cilicien. Von Sicilien, das gerade an die Saracenen verloren gegangen war, wurde zumindest der Weststreifen zurückerobert; die süditalienischen Restgebiete wurden ausgeweitet. Besonderes leistete dazu Kaiser Basileios II. (976-1025), der sich den Titel «Bulgaroktonos» erwarb, indem er auch die Herrschaft über den Balkan, die den Bulgaren zum Opfer gefallen war, wiederhergestellte. So erlebte ein Jahrtausend nach der Schlacht am Teutoburger Wald das Imperium eine letzte Blüte.
Um die Wende des IV. Jahrhunderts hatte Diokletian eine extrem dirigistische Wirtschaftsordnung eingeführt, die auch moralisch anstößige Facetten – die Bindung der Kolonen an die Scholle – umfaßte. Diese Wirtschaftsordnung führte zu einer schweren Wirtschaftskrise. Frustration löst Aggression aus, haben wir von Dollard, Miller & al. erfahren: der frustrierte Diokletian begann die Christen zu verfolgen. Doch Konstantin modifizierte diese dirigistische Wirtschaftsordnung nur teilweise; letztlich führte sie im oströmischen Reich zu einem viele Jahrhunderte anhaltenden Erfolg. Ein schweres Problem blieben allerdings die Sonderrechte der Latifundienbesitzer: die, die am meisten zum Wohlergehen des Staates hätten beitragen können, wurden am wenigsten dazu in Anspruch genommen. Ein Problem, das ja bis heute andauert: Großunternehmen, die die Meisten Steuern zahlen könnte, werden auch bei uns besonders wenig dazu herangezogen. Basileios II. versuchte das zu ändern – doch nicht einmal ihm gelang es.
Der große Kaiser Basileios II. hatte leider keine fähigen Nachfolger. Und so geht nach der Schlacht von Mantzikert (1071) der Großteil von Kleinasien an die Türken verloren, zur gleichen Zeit Süditalien an die Normannen, und auch auf dem Balkan dringen Feinde vor.
Gut ein Jahrhundert später die nächste Katastrophe: die Angeloi, die die Komnenen abgelöst hatten, gerieten in dynastische Wirren, riefen die Kreuzfahrer zu Hilfe, die 1203 zur Unterstützung eines Thronprätendenten das zuvor nie eroberte Konstantinopel eroberten, 1204 gleich noch einmal, nun auf eigene Rechnung. Sie mordeten, brandschatzten, schändeten die Kirchen.
In Trapezunt aber gelang es den Komnenen, wieder ein Kaiserreich herzustellen; ein anderes Kaiserreich entstand unter den neuen Dynastien der Laskariden und Palaiologen in Nicaea. Dieses Palaiologenreich konnte 1261 Konstantinopel einnehmen, die lateinischen (fränkischen) Kaiser, die sich dort eingenistet hatten, vertreiben.
Doch dem Druck der Türken war das Imperium nicht mehr dauerhaft gewachsen: 1453 fiel das Neue Rom, das Rom am Bosporus, mit ihm Kaiser Konstantin XII. Palaiologos. Im August 1461 fiel Trapezunt, Kaiser David Komnenos wurde abgesetzt, zwei Jahre später starb er.
Gern wird auf die Namen der letzten Kaiser hingewiesen: der letzte weströmische Kaiser war Romulus Augustulus, der den Namen des Gründers Roms mit dem des Begründers des Kaisertums, des Principats verband; der letzte Kaiser in Konstantinopel hieß Konstantin, so wie der Gründer der Stadt. Der letzte Kaiser in Trapezunt aber, das pflegt nicht hinzugefügt zu werden, trug den Namen des Gründungsvaters der Dynastie, aus der der Messias hervorgegangen ist.
Im XIX. Jahrhundert wurde jedoch der Ruhm des Römischen Reiches ignoriert: als 1830 Griechenland unabhängig wurde, wurden deutsche Fürsten als Könige importiert – zuerst ein Wittelsbacher, weshalb die griechische Flagge bis heute die bayrischen Farben zeigt –, obwohl noch Mitglieder des Hauses der Komnenen wie auch des der Palaiologen bekannt waren – etwas später ist Maurice Paléologue als Diplomat und Schriftsteller zu Ansehen gelangt.

Aber Nachfolgestaaten bestanden fort: das westliche Heilige Römische Reich bis 1806, das Moskoviter Zarenreich bis 1917. Und den Cäsarentitel gebrauchten der österreichische und der preußisch-deutsche Herrscher bis 1918, der bulgarische bis 1946.
Auf Tragödien folgt stets ein Satyrspiel: 2001 wurde der frühere bulgarische Zar Simeon II. von Sachsen-Coburg-Gotha unter dem Namen «Simeon Sakskoburggotski» zum Ministerpräsidenten gewählt und regierte bis 2005; seine Politik aber hatte nichts Cäsarisches mehr.
Sehnen wir uns nicht alle nach dem Imperium Romanum?

* Ein Großteil der Zitate ist ohne weiteren Hinweis dem großen Werk «Rhomäerreich und Gottesvolk» von Endre von Ivánka entnommen (Das Glaubens-, Staats- und Volksbewußtsein der Byzantiner und seine Auswirkung auf die ostkirchlich-osteuropäische Geisteshaltung. Freiburg 1968).

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