Kultur – Rasse – Intelligenzmessung

Was mißt der Intelligenztest?

«Intelligenz ist das, was der Intelligenztest mißt», wird gesagt. Nur: was Intelligenzteste messen, ist sehr unterschiedlich. Es gibt verschiedene Seiten, verschiedene „Faktoren“ der Intelligenz; darum umfassen Intelligenzteste großenteils mehrere Skalen. Meistens sind bei einem Menschen diese Faktoren ähnlich ausgebildet, manchmal aber auch recht unterschiedlich – man spricht dann von „dissoziierter Intelligenz“.
Intelligenz und Wissen sind nicht das gleiche; doch Intelligenz ist hilfreich für den Erwerb von Wissen, und Wissen eröffnet der Intelligenz Entfaltungsmöglichkeiten. Daher werden Intelligenz und Wissen in den Testen nicht immer unterschieden. Die wohl bekanntesten Intelligenzteste, die der Wechsler-Familie, enthalten Skalen wie „Wortschatz-Test“ und „Allgemeines Wissen“, erfordern also Allgemeinwissen und Beherrschung der jeweiligen Sprache. Aber auch andere Teste umfassen einen Verbalteil, bevorzugen also Testpersonen mit guter Sprachbeherrschung. Allerdings gibt es auch kulturunabhängige Teste („Culture Fair Tests“), deren Aufgabe es ist, die „fluide Intelligenz“ zu messen; dabei aber bleiben andere Intelligenzleistungen außen vor. Auf der anderen Seite steht die „kristallisierte“ Intelligenz; „kristallisiert“ meint die im Leben erarbeiteten Gedanken, die zur Lösung von Aufgaben herangezogen werden. Zu ihrer Messung wird bevorzugt ein reiner Wortschatztest verwendet – solch ein Test ermöglicht eine Einschätzung der ursprünglichen Intelligenz vor einem hirnorganischen Abbau. Allgemein gilt, daß nach dem Jugendalter die Arbeitsweise der Intelligenz sich ändert, von mehr „fluider“ zu mehr „kristallisierter“ Intelligenz.
Sollen Menschen verschiedener Kulturen verglichen werden, kommen also nur solche kulturunabhängigen Teste in Betracht. Und dies gilt nicht nur für die unterschiedlichen Kulturen der verschiedenen Völker der Welt, sondern auch für die der verschiedenen Schichten eines Volkes – Sprachbeherrschung und Wissen sind da keineswegs bei allen gleich.
Aber auch die Kulturunabhängigkeit dieser Teste ist nicht selbstverständlich. Wenn Reihen von Zahlen oder gar Buchstaben benutzt werden, so ist sie nicht mehr gegeben. Aber auch wenn sich ein Test (wie Teste der Raven-Familie) auf Muster, „progressive Matrizen“, beschränkt, so ist zu fragen, ob nicht auch die Auffassung von Mustern eine kulturelle Seite hat.
Es werden immer kulturunabhängigere Teste entwickelt, aber das heißt auf der anderen Seite, daß die Kulturunabhängigkeit älterer Testungen weniger gesichert ist.
Wenn aber ein Intelligenztest völlig kulturunabhängig ist, so heißt das, daß die sprachliche, die verbale Intelligenz damit nicht gemessen wird. Verbale Intelligenz ist nicht einfach erfolgreiches Erlernen der Sprache, sondern intelligenter Umgang mit Sprache, eine wirkliche Intelligenzleistung. Es ist anzunehmen, daß diese Fähigkeit nicht von der konkreten Sprache abhängt (wenn es auch denkbar ist, daß verschiedene Sprachen unterschiedliche geistige Voraussetzungen stellen); doch gemessen werden kann die verbale Intelligenz nur über eine konkrete Sprache.
Man erlebt oft, daß der Eindruck, den ein Mensch macht, von der mit einem Test gemessenen Intelligenz abweicht; dann zeigt gegebenenfalls ein anderer Test, daß dieser Mensch in einer anderen Skala, der verbalen Intelligenz etwa, einen viel höheren Wert erreicht – dissoziierte Intelligenz. Solche Intelligenzleistungen aber kann ein kulturunabhängiger Test nicht abdecken. Ebensowenig deckt er die „kristallisierte“ Intelligenz ab.

Die Entwicklung der Intelligenz

Physische Erbanlagen haben Einfluß auf die Intelligenz, aber nicht in der Weise, daß sie sie festlegten, sondern eher dadurch, daß sie das Maß setzen, in dem sich die Intelligenz entfalten kann. Das bedeutet nicht einfach ein Gegenüber von Erbanlage und Milieu, sondern beides gibt Raum zur aktiven Entfaltung. Optimal für eine günstige Entwicklung ist liebevolle Umsorgung und Raum für eigenständige freie Entfaltung. Förderlich ist auch alles, was zu geistiger Betätigung einlädt, Bücher etwa – nicht aber ein hohes Maß an Förderungsmaßnahmen, die die eigenständige Entwicklung letztlich einschränken können.

Was beeinträchtigt die Testleistung?

Intelligenz kann man in einem Test kaum vortäuschen; ein erreichter hoher Wert sagt wirklich etwas über die Intelligenz eines Menschen. Ein geringerer Wert aber kann verschiedene Ursachen haben.
Die ideale Testperson ist ein Mensch, der hellwach ist, sich engagiert den Aufgabe widmet, aber nicht in Sorge ist, ob er sie bewältigen werde.
Ist ein Mensch unkonzentriert, so leidet darunter die Testleistung. Seine Konzentration kann dadurch beeinträchtigt sein, daß er müde ist, daß er desinteressiert ist („Was soll das denn?“), daß er abgelenkt ist. Abgelenkt sein kann ein Mensch dadurch, daß er gerade mit einem für ihn interessanteren Thema beschäftigt ist. Abgelenkt sein kann er aber auch durch Sorgen des Alltags oder durch psychische Beeinträchtigungen wie depressive oder hypochondrische Gedanken oder Zwangsgedanken.
Ängstlichkeit kann die Testleistung beeinträchtigen. Unsicher, ängstlich kann jemand sein, weil er sich um sein Testergebnis sorgt, aber auch, weil die Situation – die Testsituation oder auch die Umgebung – ihm fremd ist, ihn beunruhigt. Unsicher kann es machen, wenn jemand sich als schwach oder sozial unterlegen empfindet, ein großes soziales Gefälle gegenüber dem Testleiter oder der Institution verspürt.
Diesem Druck kann bemühte Konzentration entgegengesetzt werden. Doch während Konzentration, die von eigenem Interesse getragen wird, optimal ist, hemmt bemühte Konzentration den freien Fluß der Gedanken, steigert die Rigidität und beeinträchtigt so wiederum die Testleistung.

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Werden etwa Menschen aus einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern, von Nomaden oder Schwendfeldbauern getestet, so ist es ihnen schon völlig fremd, Testaufgaben mit Papier und Stift zu beantworten, zudem für sich allein, ohne sich beraten zu dürfen. Doch solche Menschen werden auch äußerst selten getestet werden. Wenn es um Teste mit Menschen aus anderen Kulturen und Rassen geht, so wird es sich meistens um Menschen handeln, die bereits mit der westlichen Kultur zumindest in Berührung sind, oft aber selber zu ihr gehören, wenn auch mehr oder weniger marginal. Ein besonderer Fall verdient dabei Beachtung, weil die Situation vieler anderer Menschen aus anderen Kulturen und Rassen, die getestet werden, in manchem vergleichbar ist:

Schwarze in den USA

Dieser Sonderfall ist wichtig, weil in den USA sehr viel getestet wird, viele Testergebnisse aus ihnen publiziert werden und es dort eine sehr große schwarze Minderheit gibt, die zu einem großen Teil unter sehr besonderen Bedingungen lebt. Das Bild dieser Bevölkerungsgruppe hat über die USA hinaus beträchtliche Bedeutung für das Bild von rassischen Unterschieden.
Vor langen Jahren hat David P. Ausubel deren Lebensumstände erörtert, die sowohl für die Entfaltung der Intelligenz als auch für die Leistungen im Schulunterricht und im Test gleichermaßen ungünstige Auswirkungen haben. Es sind Bedingungen, die für die Entwicklung der Intelligenz störend sind: oft ungünstige Familienverhältnisse, Sozialisation in Gleichaltrigengruppen („peer groups“), einschränkende materielle Bedingungen. Diese damaligen Bedingungen beeinflussen die Testergebnisse der Vergangenheit; aber auch bis heute dürfte weitgehend ähnliches gelten.
David P. Ausubel: Psychologie des Unterrichts. Basel 1974
Zudem entsteht dort ein Lebensgefühl der sozialen Unterlegenheit und eine Lebensperspektive, die Hoffnung auf Anerkennung in der Mehrheitsgesellschaft, auf Bewährung durch geistige Leistung und somit das Interesse daran dämpft. Testaufgaben mit Papier und Stift zu beantworten, zumeist dazu unter Zeitdruck: ihnen ist das nicht ganz fremd, doch es gehört nicht zu ihrer Kultur, sondern zu der der Mehrheitsgesellschaft, der gegenüber sie sich unterlegen fühlen. Es kann geschehen, daß sie darauf mit innerer Ablehnung, mit Desinteresse dem Test gegenüber reagieren; es kann aber auch sein, daß sie sich um so mehr bemühen – das aber führt leicht zu Unsicherheit in der Testsituation, zu Ängstlichkeit oder Rigidität.
Dazu kommt eine Sprache, das „Black English“, das mit dem normalen amerikanischen Englisch, der Sprache also des Testleiters und der Testanweisungen, nicht in allem übereinstimmt.

Anmerkung zum IQ

Der Intelligenzquotient (IQ) ist Alfred Binet zufolge
(Intelligenzalter / Lebensalter) × 100 .
Intelligenzalter heißt das Alter, in dem die betreffende Intelligenz durchschnittlich wäre. Demzufolge ist der Mittelwert 100. Nun steigt die Intelligenz seit der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahrzehnts nicht mehr; darum gibt es einen IQ im eigentlichen Sinne nur bei Kindern und Jugendlichen. Doch dann hat es sich eingebürgert, IQ einen Wert auf einer Normalverteilung (im Sinne von J. C. F. Gauß) mit dem Mittelwert 100 und der Standardabweichung 15 zu nennen, was der Verteilung des IQ bei Kindern und Jugendlichen entspricht. Was aber der IQ mißt, ist damit nicht gesagt, das bleibt ganz dem einzelnen Test überlassen.
Allerdings fällt ein in Deutschland verbreiteter (guter) Intelligenztest, der I-S-T, aus der Rolle: bei ihm ist die Standardabweichung 10.
Gelegentlich werden irgendwelchen Menschen außerordentlich hohe IQ zugeschrieben – selbst von einem IQ von 200 habe ich schon gehört. Reiner Unfug! Zur Normierung von Intelligenztesten hat man im allgemeinen eine vierstellige Zahl von Probanden, nur ausnahmsweise eine Zahl im untersten fünfstelligen Bereich. Solche Zahlen erreicht man aber in der Regel dadurch, daß man Schüler hinzuzieht; das heißt, daß die Normierung in Alterskohorten unbedingt erforderlich ist. Das bedeutet aber, daß die Normierung für einen IQ etwa von 150 – also mehr als drei Standardabweichungen überm Mittelwert – unmöglich ist.

Orietur Occidens